Die COVID-19 Pandemie ist zur Zeit omnipräsent und hat erhebliche Auswirkungen auf das Bauwesen. Behördliche Einschränkungen, staatliche Maßnahmen zur sozialen und physischen Distanzierung, Grenzkontrollen und Grenzschließungen aber auch Quarantänemaßnahmen und erkrankte Mitarbeiter können zu Verzögerungen bei Bauprojekten führen. Materialengpässe, fehlende Arbeitskräfte und nicht erreichbare Baustellen sind nur einige Beispiele. Insofern stellt sich für die Beteiligten die Frage, wie mit diesen Störungen rechtlich umzugehen ist.
Grundsätzlich sind zunächst die vertraglichen Regelungen entscheidend. Gibt es vorrangige vertragliche Regelungen zu höherer Gewalt oder zu vergleichbaren unvorhersehbaren Ereignissen?
Auswirkungen bei Vereinbarung der VOB/B
Im Folgenden geben wir Ihnen einen Überblick, was aus rechtlicher Sicht zu berücksichtigen ist, wenn die VOB/B als Vertragsgrundlage vereinbart ist und der Vertrag im Übrigen keine Regelungen zum Umgang mit Fällen höherer Gewalt vorsieht.
Behinderungsanzeige
Sieht sich der Auftragnehmer Behinderungen durch die COVID-19 Pandemie ausgesetzt, muss er dem Auftraggeber unverzüglich die schriftliche Behinderungsanzeige übermitteln (§ 6 Abs. 1 S. 1 VOB/B) und mitteilen, welche Arbeiten aufgrund welcher Umstände nicht ausgeführt werden können. Eine Anzeige kann unterbleiben, wenn die Umstände und deren hindernde Wirkung dem Auftraggeber offenkundig bekannt sind. Auch wenn COVID-19 zur Zeit omnipräsent ist, sollte in jedem Fall eine Behinderungsanzeige erfolgen, da die konkreten Auswirkungen im Einzelfall für den Auftraggeber unter Umständen nicht offenkundig sind.
Verlängerung der Ausführungsfristen bei höherer Gewalt
Die Ausführungsfristen werden verlängert, sofern die Behinderung durch höhere Gewalt oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände verursacht wurde (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/B). Der Begriff der „höheren Gewalt“ wird vom BGH (NJW 1953, 184) als ein „betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen ist“ definiert. Wenngleich es, soweit ersichtlich, in Bezug auf Pandemien noch keine Entscheidungen in der Rechtsprechung zu baurechtlichen Streitigkeiten gibt, werden Pandemien von dem Begriff der höheren Gewalt grundsätzlich erfasst, insbesondere eine Pandemie mit historischen Ausmaßen wie die COVID-19 Pandemie.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass es für die Beurteilung der Frage, ob höhere Gewalt vorliegt, auf eine Prüfung des Einzelfalls ankommt. Kommt es beispielsweise zu Materialengpässen, kann es sein, dass die Baustoffe noch anderweitig, unter Umständen zu höheren Einkaufspreisen, zu beschaffen sind. Denn grundsätzlich fallen Preissteigerungen bei Baustoffen in die Risikosphäre des Auftragnehmers.
Entscheidend ist die Frage, ob dem Auftragnehmer in Bezug auf die Störung ein Verschulden anzulasten ist. Bei Mitarbeiterausfällen ist im Einzelfall die konkrete Ursache zu betrachten. Bei behördlichen Anordnungen, beispielsweise Betriebsuntersagungen oder Quarantänemaßnahmen, die auch eine Ersatzbeschaffung ausschließen, dürfte in der Regel eine vom Auftragnehmer unverschuldete Störung vorliegen.
Der Auftragnehmer hat darüber hinaus alles zu tun, was ihm billigerweise zugemutet werden kann, um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen (§ 6 Abs. 3 S. 1 VOB/B). Sobald die hindernden Umstände wegfallen, hat er ohne weiteres und unverzüglich die Arbeiten wieder aufzunehmen und den Auftraggeber davon zu benachrichtigen (§ 6 Abs. 3 S. 2 VOB/B).
Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers
Die gleichen Erwägungen sind spiegelbildlich für die Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers anzustellen. Hier ist entscheidend, welche Umstände in die Mitwirkungssphäre des Auftraggebers fallen und ob den Auftraggeber insoweit ein Verschulden wegen der Störung des Bauablaufs trifft (§ 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B).
Kündigungsrechte
Sofern die Unterbrechung länger als drei Monate dauert, kann jeder Teil nach Ablauf dieser Zeit den Vertrag schriftlich kündigen (§ 6 Abs. 7 S. 1 VOB/B). Des Weiteren ist zu prüfen, ob im Einzelfall weitere Kündigungsrechte einschlägig sind, bspw. eine Kündigung aus wichtigem Grund, weil das Festhalten am Vertrag unzumutbar ist oder eine Kündigung wegen Verschlechterung der Zahlungsfähigkeit des Vertragspartners. Ob im Einzelfall eine Möglichkeit zur Kündigung besteht, sollte sorgfältig geprüft werden, um die finanziellen Folgen einer unwirksamen Kündigung zu vermeiden. Insbesondere die Frage der Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag bedarf wegen der vielen möglichen Fallgestaltungen einer sorgfältigen Prüfung.
Ausblick
Je länger die Krise andauert, desto schwieriger wird es, noch von einem unvorhersehbaren Ereignis zu sprechen. Gleichzeitig wird auch zukünftig mit Unwägbarkeiten aufgrund der COVID-19 Pandemie zu rechnen sein. Zur Vermeidung von Streitigkeiten sollten daher bei Neuverträgen entsprechende Force Majeure-Klauseln in den Vertrag aufgenommen werden und der Umgang mit Ausführungsfristen und Preissteigerungen vertraglich klar geregelt werden.