Juli 07. 2021

Die Aufhebung des Patentschutzes für COVID-19 Impfstoffe – Zu Realisierbarkeit und möglichen Risiken einer solchen Maßnahme

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Einen „monumentalen Moment“, nannte Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die am 5. Mai 2021 erfolgte Ankündigung der US-Regierung, sich im Rahmen von Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) für den Verzicht auf Patentschutz für COVID-19 Impfstoffe einzusetzen. Bereits am darauffolgenden Tag rutschten die Aktienkurse aller Hersteller von zugelassenen COVID-19 Impfstoffen um mehrere Prozentpunkte ab und die Debatte um eine sogenannte Patentfreigabe bestimmt seither die Politik- und Wirtschaftsnachrichten auf der ganzen Welt. Dieser Beitrag soll die Hintergründe der Debatte beleuchten.

I. Was ist bisher geschehen?

Bereits am 2. Oktober 2020 hatten Indien und Südafrika vor der WTO einen Vorschlag eingebracht, wonach die Patentrechte für COVID-19 Impfstoffe vorübergehend weltweit ausgesetzt werden sollten.

Während der ersten Debatten im Oktober 2020 konnte die für eine Entscheidung erforderliche Mehrheit nicht erreicht werden. Dies nicht zuletzt, da sich einflussreiche Wirtschaftsnationen wie Großbritannien, die EU und die USA gegen die Aussetzung des Patentschutzes aussprachen.

Während der nun angekündigte Richtungswechsel der USA von den vereinten Nationen, zahlreichen NGOs, und nicht zuletzt dem Papst befürwortet wurde, äußerten zahlreiche Industrienationen, darunter die Mehrheit der EU-Staaten, sowie Experten und Industrievertreter ihre Bedenken. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ verlauten, dass eine Freigabe von Patenten nicht die Lösung sei, um mehr Menschen mit Impfstoff zu versorgen.

II. Wäre eine Aufhebung des Patentschutzes möglich?

Auch wenn es sich bei der aktuellen Diskussion um eine globale handelt, könnte eine Aufhebung des Patentschutzes jeweils nur auf nationaler Ebene für die einzelnen Länder unter Berücksichtigung der entsprechenden nationalen Gesetze erfolgen. Eine Aufhebung könnte dabei einerseits durch die nationalen Regierungen selbst, andererseits auch auf Grundlage einer Entscheidung einer übergeordneten internationalen Organisation wie bspw. der WTO veranlasst werden.

Möglichkeiten zur Aufhebung des Patentschutzes im internationalen Recht

Einschlägige Rechtsgrundlage für eine Entscheidung der WTO wäre das von den Mitgliedern der WTO im Jahre 1994 getroffene Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (englisch: „Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property“; kurz: TRIPS-Abkommen).

Neben einer vollständigen "Aufhebung" des Patentschutzes, d.h. einer Aussetzung aller Regelungen zu gewerblichen Schutzrechten (TRIPS II, Sec. 1, 4, 5 und 7) wie sie der ursprüngliche indisch-südafrikanische Gemeinschaftsantrag vorsah ("TRIPS Waiver"), enthält das TRIPS-Abkommen eigene Maßnahmen, um die Benutzung fremder Patente in bestimmten Ausnahmefällen zu ermöglichen.

So sieht das TRIPS-Abkommen in Artikel 31 vor, dass die Mitgliedstaaten unter Beachtung verschiedener Voraussetzungen, u.a. im Falle eines nationalen Notstands, Zwangslizenzen für bestimmte Patente erteilen können, mithilfe derer patentgeschützte Impfstoffe produziert werden könnten. Diese Möglichkeit wurde mit der 2017 eingeführten Regelung des Art. 31bis erweitert.

Wird die Einräumung einer Zwangslizenz staatlich angeordnet, so wird der Lizenznehmer hierdurch berechtigt, die patentierte Erfindung zu benutzen. Hierfür muss er an den Lizenzgeber eine ebenfalls durch den Staat festgelegte Lizenzgebühr zahlen. Die Zwangslizenz kann zudem inhaltlich oder zeitlich beschränkt erteilt werden.

Möglichkeiten zur Aufhebung des Patentschutzes im nationalen (deutschen) Recht

Unter deutschem Recht können Dritte zunächst gemäß § 24 Patentgesetz (PatG) die Einräumung einer Zwangslizenz verlangen, wenn sie sich zuvor erfolglos bemüht haben, vom Patentinhaber eine Lizenz zu angemessenen Bedingungen zu erhalten und das öffentliche Interesse die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet. Wird eine solche Zwangslizenz durch das Bundespatentgericht erteilt, wird der Dritte berechtigt, gegen eine ebenfalls vom Bundespatentgericht festzusetzende Lizenzgebühr, die patentierte Erfindung in dem durch die Zwangslizenz festgelegten Umfang gewerblich zu nutzen.

Daneben kann die Bundesregierung eine Benutzungsanordnung gemäß § 13 PatG erlassen. Das am 27. März 2020 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (EpidemieSchG) hat das Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) um den § 5 Abs. 2 Nr. 5 ergänzt. Hiernach kann eine solche Benutzungsanordnung nicht nur durch die Bundesregierung, sondern auch durch das Bundesministerium für Gesundheit oder eine nachgeordnete Behörde erfolgen, wenn hierdurch das Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder das Interesse der Sicherheit des Bundes gewährleistet wird.

Eine Benutzungsanordnung gilt zunächst nur zugunsten der erlassenden Behörde. Diese kann das Benutzungsrecht aber auf Dritte übertragen, der dem Patentinhaber im Gegenzug eine angemessene Gebühr zu zahlen hätte. Anders als bei der Zwangslizenz dürfte der Dritte die Erfindung allerdings nicht zu kommerziellen Zwecken, sondern allein zu Zwecke der Sicherung der öffentlichen Wohlfahrt bzw. der Sicherheit des Bundes nutzen.

Praktische Umsetzbarkeit

Wenngleich die Debatte durch die Ankündigung der US-Regierung erneut Fahrt aufgenommen hat, konnte der erforderliche Konsens für eine WTO-Entscheidung im Hinblick auf eine internationale Aufhebung oder Einschränkung des Patentschutzes noch nicht erreicht werden. Dies ist angesichts des äußerst gespaltenen Meinungsbildes innerhalb der Mitgliedsstaaten nicht überraschend und es ist damit zu rechnen, dass ein Konsens zeitnah erreicht werden kann. Daher wird die Ankündigung der Biden-Regierung bereits jetzt von vielen als eher symbolischer Schritt betrachtet.

Die nach einer entsprechenden Entscheidung der WTO erforderliche Umsetzung in nationales Recht durch die einzelnen Mitgliedsstaaten dürfte zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen.

III. Was würde eine Patentfreigabe bringen?

Da Patentrechte auf COVID-19 Impfstoffe dem Patentinhaber zunächst ein Exklusivrecht zur Herstellung des Impfstoffes geben, könnte man schlussfolgern, dass eine Aufhebung des Patentschutzes, sei es durch einen Waiver, eine Zwangslizenz oder eine Benutzungsanordnung zu einem Mehrangebot an Impfstoff führen würde.

Impfstoffherstellung erfordert Know-How und Infrastruktur

Diese Annahme verkennt jedoch, dass eine Berechtigung zur Herstellung nicht gleichzusetzen ist mit der Befähigung zur Herstellung. Letztere erfordert ein hohes Maß an Know-How, Erfahrung und technologischer Infrastruktur, wenn das Ergebnis saubere und sichere Impfstoffe sein sollen.

Die Wichtigkeit von Know-How und Expertise gilt umso mehr im Hinblick auf die vergleichsweise junge mRNA-Technologie, auf der beispielsweise die Impfstoffe von BioNTech/Pfizer, Moderna und CureVac basieren. Zum einen ist das Herstellungsverfahren deutlich teurer und aufwändiger als jenes für die etablierten Vektorimpfstoffe, zum anderen sind die Impfstoffe (mit Ausnahme des Impfstoffkandidaten CVnCoV von CureVac)  äußerst anfällig für Temperaturschwankungen und erfordern zumeist eine konstante Temperatur von bis zu -80° Celsius.

Aufgrund der besonderen Herausforderungen bei der Herstellung von COVID-19 Impfstoffen kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Patentfreigabe allein dazu führt, dass bislang unerfahrene Produzenten auf dieser Welt plötzlich sauberen und sicheren Impfstoff herstellen können.

Patente als Anreiz für zeit- und kostenintensive Forschung und Entwicklung

Ein weiteres Risiko, das eine staatlich initiierte Aufhebung des Patentschutzes mit sich bringen würde, wird deutlich, wenn man sich zunächst vor Augen führt, wie aufwendig und kostenintensiv die Entwicklung von Medikamenten ist. Studien der letzten Jahre beziffern die durchschnittlichen Entwicklungskosten eines einzelnen Medikamentes auf Summen zwischen 1.3 und 2.8 Milliarden USD.

Dabei ist auch zu bedenken, dass während der Forschung und Entwicklung eines Medikamentes keine Erfolgsgarantie besteht, sodass die getätigten Milliardeninvestitionen im schlimmsten Falle verloren sind. Beispielsweise lag die Fehlschlagquote für neue Alzheimer Medikamente vor wenigen Jahren noch bei etwa 99.6%.

Im Angesicht dieser Zahlen bieten gerade Patente einen Anreiz für Unternehmen, die kosten- und zeitintensive Erforschung und Entwicklung neuer, bahnbrechender Medikamente anzugehen.

Im deutschen Patentrecht etwa wird dem Patentinhaber ein Exklusivrecht für einen Zeitraum von 20 Jahren eingeräumt, während dem er allein zur Nutzung und Verwertung der patentierten Erfindung berechtigt ist. Für bestimmte Medikamente können diese 20 Jahre über sog. ergänzende Schutzzertifikate (englisch: „Supplementary Protection Certificates“; kurz: SPCs) um maximal weitere 5 Jahre verlängert werden.

Nach dem Ende der Schutzdauer können oftmals Nachahmer und Generikahersteller von der grundlegenden Forschungsarbeit des ursprünglichen Erfinders profitieren. Da sie selbst nur verringerte Ausgaben für die Forschung und Entwicklung des vormals patentgeschützten Medikamentes getätigt haben, können sie Generikaprodukte in der Regel zu einem deutlich günstigeren Preis anbieten.

Aufhebung von Patentschutz als gefährliches Signal

Würde dieses Exklusivrecht nun von staatlicher Seite aufgehoben oder eingeschränkt, könnte dies als dramatisches Signal verstanden werden, das Pharmaunternehmen in der Zukunft davon abhält, die aufwendige Forschungs- und Entwicklungsarbeit zur Bereitstellung von kritischen Medikamenten auf sich zu nehmen, da sie befürchten müssten, ihr Risikoinvestment nicht wieder ausgleichen zu können.

Vor diesem Hintergrund ist die Ablehnung des Vorstoßes der USA durch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als starkes Signal anzusehen.

Gilt Deutschland doch seit langem als einer der wichtigsten Patentstandorte in Europa. Nicht nur kam 2017 jede dritte Patentanmeldung in Europa aus Deutschland, das deutsche Patent- und Markenamt ist auch das größte nationale Patentamt in Europa und das fünftgrößte weltweit. Auch als Standort für Patentverletzungsverfahren in Europa ist Deutschland nicht zuletzt aufgrund der spezialisierten Gerichtsstandorte in Düsseldorf, Mannheim und München äußerst beliebt.

IV. Welche Alternativen gibt es?

Wie gezeigt ist eine Aufhebung oder Beschränkung des Patentschutzes – von der schwierigen Umsetzbarkeit einmal abgesehen – kein geeignetes Mittel, um die globale Versorgung mit Impfstoff kurzfristig zu erhöhen. Vielmehr birgt eine Aufhebung des Patentschutzes sowohl gesundheitliche Risiken durch nicht fachmännisch hergestellte Impfstoffe sowie politische Risiken in Form einer Verunsicherung, die sich auf die Innovationskraft der Pharmabranche nachhaltig negativ auswirken könnte. 

Zielführender ist daher die Unterstützung der bereits bestehenden Unternehmen und ein Ausbau der fachmännisch ausgestalten Produktionskapazitäten. Eine Erweiterung der bestehenden Produktion liegt nicht zuletzt im Interesse der beteiligten Pharmaunternehmen, sodass viele von Ihnen bereits auf eigene Initiative Kooperationen eingegangen sind (deutschsprachige Leser mögen hierzu auch den Kommentar unseres Partners Dr. Ulrich Worm in Tagesspiegel Background lesen 1).

Unmittelbar wirksam wäre zudem der Export bereits gelagerter Impfstoffdosen in Krisenherde. Nachdem die EU bereits vor Monaten 34 Mio. Dosen Impfstoff exportiert hat, haben auch die USA angekündigt, 60 Mio. aktuell nicht benötigter Dosen AstraZeneca exportieren zu wollen.

Nicht zuletzt sollte über eine Stärkung der globalen COVAX-Kampagne sowie der dahinterstehenden globalen Impfstoff-Initiativen Gavi und CEPI einer Ungleichverteilung des verfügbaren Impfstoffes begegnet werden.

Wenn Sie sich für dieses Thema interessieren, möchten Sie vielleicht auch an unserem Webinar 'Waiving IP Rights in COVID Vaccines: Reactions from Stakeholders' teilnehmen, das am Mittwoch, den 14. Juli 2021, 16:00 - 17:00 Uhr EDT / 22:00 - 23:00 Uhr MESZ stattfinden wird.

Während des Webinars werden wir mit Branchenführern und Interessenvertretern diskutieren, ob die Aufhebung bzw. Einschränkung von Patentrechten die Zugangs- und Vertriebsprobleme tatsächlich lösen kann oder ob es andere Möglichkeiten gibt, die helfen könnten, die Virusausbreitung zu stoppen und gleichzeitig die Interessen der Patentinhaber zu berücksichtigen.

Für weitere Informationen und Anmeldemöglichkeiten: Klicken Sie hier.

 

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